[Interview] Juliane Seidel, Herausgeberin queerer Charity-Anthologien, Autorin & Bloggerin

Juliane Seidel wurde 1983 in Suhl/Thüringen geboren und lebt seit mehreren Jahren in Wiesbaden. Neben ihrer Arbeit als Teamassistentin steckt sie viel Zeit und Herzblut in den queeren Rezensionsblog „Like a Dream“, organisiert Messen und Veranstaltungen (u.a. das queere Lesefestival „QUEER gelesen“) und schreibt seit knapp zehn Jahren fantastische Kinder- und Jugendbücher. Unterdessen hat sie neben den ersten Bänden der Kinderbuchreihe „Assjah“ und der im Selfpublishing erschienenen Trilogie “Nachtschatten” auch erste Veröffentlichungen im queeren Bereich vorzuweisen.

Liebe Juliane, vielen Dank für das Gespräch!

Du hast bereits 2 Anthologien heraus gegeben, ohne dass Du einem Verlag oder einer Autorengruppe angehörst. Das ist ziemlich ungewöhnlich, weil es sehr aufwändig ist.
Wie bist Du auf die Idee gekommen, Dein Blogjubiläum mit einer Anthologie zu feiern?

Zu Beginn war das eher so etwas wie eine fixe Idee, die ich gegenüber meiner Frau spaßeshalber erwähnt habe – mein Blog „Like a Dream“ wurde 15 Jahre alt und ich habe bei meinen Planungen, das Event gebührend zu feiern, irgendwann gesagt, dass es doch richtig toll wäre, so etwas mit einer Anthologie zu feiern. Und wie das so ist – diese Idee setzte sich fest, bis ich entschied, es einfach zu versuchen und mich auf das Abenteuer einzulassen. Zum Ende des Geburtstagsmonats stand dann fest, dass es eine Anthologie geben wird, sprich ich konnte am 15. Geburtstag des Blogs eine entsprechende Ankündigung machen.

Die zweite habe ich dann besser geplant und ein Jahr früher mit den Planungen begonnen, so dass „Like a (bad) Dream“ exakt zum 18. Bloggeburtstag auf den Markt kam.

Die Einnahmen werden gespendet. Stand das von Beginn an fest? An welche Vereine werden die Erlöse gespendet?

Dass ich eine Benefizanthologie anstrebe, stand von Anfang an fest – schon als ich an die Autor*innen herangetreten bin, wollte ich die Einnahmen spenden. An wen die Gelder gingen, habe ich gemeinsam mit den teilnehmenden Autor*innen entschieden. Mir war es wichtig, dass die Gelder eher an kleine Vereine gehen, da diese weniger Präsenz als die großen Vereine haben und in meinen Augen eher auf Spenden angewiesen sind. Aus diesem Grund gehen die Einnahmen der ersten Anthologie an den Trägerverein LSBK e.V. der Bar jeder Sicht in Mainz (mit dem ich auch im Rahmen von QUEER gelesen eng zusammenarbeite), die Einnahmen der 2. Anthologie an die queere Flüchtlingshilfe des Darmstädter vielbunt e.V.

Hast Du eine Ausschreibung gemacht oder war es eine Einladungsanthologie? Kanntest Du alle Autoren bereits persönlich oder hast Du Ihre Werke gekannt? Wonach hast Du die Autoren ausgewählt?

Bei beiden Anthologien handelt es sich um eine „Einladungsanthologie“ – ich kenne alle teilnehmenden Autor*innen, teils persönlich (über Messen, QUEER gelesen etc.), teils durch die Bücher, die ich von ihnen gelesen habe. Ich habe mich gegen eine Ausschreibung entschieden, weil ich dann noch wesentlich mehr zu tun gehabt hätte – ich habe bei der ersten Anthologie und bei einem Großteil der zweiten sämtliche Geschichten lektoriert oder das Korrektorat durchgeführt. Eine offene Ausschreibung hätte bedeutet, im Vorfeld noch mehr Texte zu lesen und dann auch noch eine Auswahl zu treffen – das wäre mir einfach zu viel geworden. Daher habe ich die Autor*innen angeschrieben, die ich kenne und deren Arbeit ich schätze. Von jedem von ihnen kenne ich mindestens eins, wenn nicht alle Bücher, die sie verfasst haben.

Hast Du alles selbst gemacht oder hast Du Hilfe von anderen Spezialisten wie z.B. Lektoren, Korrektoren oder Grafikdesignern gehabt?

Die Anthologien sind eine gemeinsame Arbeit aller Autor*innen und Grafiker*innen. Letztere haben ebenfalls auf ihr Honorar verzichtet, um der Anthologie ein Gesicht zu geben. Bei „Like a Dream“ zeigt sich Casandra für Cover und Umschlag verantwortlich, bei „Like a (bad) Dream“ ist es Manu Ancutici, die auch die Gestaltung der Kapitelcover und der Werbemittel übernahm. Ohne ihre Unterstützung wären die Anthologien nicht möglich gewesen.

Das Lektorat habe ich bis auf eine Ausnahme bei sämtlichen Kurzgeschichten der ersten Anthologie übernommen, bei der zweiten habe ich ungefähr die Hälfte der Geschichten lektoriert. Neben mir waren auch andere teilnehmende Autor*innen also Lektor tätig oder haben das Korrektorat übernommen. Für zwei Geschichten haben wir uns Unterstützung durch einen externen Lektor geholt, der ebenfalls kostenfrei gearbeitet hat.

Den Satz der Anthologien haben ebenfalls zwei Autor*innen übernommen, die sich auch mit einer Geschichte an der Anthologie beteiligt haben, ebenso die eBook-Erstellung.

Insgesamt hat jeder Autor / jede Autorin ein Stück weit beim Lektorat, Korrektorat oder Testlesen, dem Satz oder der eBook Erstellung mitgewirkt und so die beiden Anthologien zu dem gemacht, was sie jetzt ist.

Warst Du das erste Mal als Herausgeberin tätig? Erwies sich einer der Arbeitsschritte als aufwändiger als geplant?

Ich war zum ersten Mal Herausgeberin – insgesamt war es eine spannende, aber auch zeitaufwendige Erfahrung. Interessanterweise war die erste Anthologie wesentlich einfacher und weniger arbeitsaufwendig, als die zweite, obwohl ich da jeden Text lektoriert und mindestens 2-3 Mal gelesen habe. Nichtsdestotrotz war die zweite Anthologie aufwändiger als geplant – vielleicht weil ich mir mehr Zeit gegeben habe und es perfekt machen wollte. In gewisser Weise ist sie das geworden – sie ist aufwendiger, als die erste, ganz besonders optisch (was mich und die Setzerin beim Taschenbuchdruck von Amazon wirklich an Grenzen brachte – es gibt so viel zu beachten, was Schnittränder und Einstellungen angeht, das glaubt man nicht …).

Hast Du einen Rat für jemanden, der als erstes Mal als Herausgeber_in tätig ist?

Wenn man alles allein macht – ohne Verlag – dann braucht man einen langen Atem und viel Geduld. Es kommt viel mehr Arbeit auf einen zu, wenn man wirklich von der ersten Idee bis zum fertigen Buch alles allein macht bzw. den Großteil der Arbeit mit überwacht und verfolgt. Ich bin jemand, der Dinge nur schwer aus der Hand geben kann, was bedeutet, dass ich bei jedem Schritt involviert war und alles genau mitverfolgen wollte. Wichtig ist, einen festen Plan zu haben und genügend Zeit einzuplanen. Für die erste Anthologie nahm ich mir 10 Monate Zeit, für die zweite sogar 14 Monate – ein solches Projekt ist nichts, was man binnen weniger Wochen auf die Beine stellen kann.

Man muss auch Geduld zeigen, wenn einem kurz nach der Deadline noch 2 Geschichten fehlen und man ggf. umdisponieren und planen muss, weil einer der Autor*innen abspringt. Man sollte also spontan und stressresistent sein, geduldig und fähig den Überblick zu behalten.

Das wichtigste – das Ziel im Auge behalten und darauf hinarbeiten. All der Stress ist vergessen, wenn man das Buch in den Händen hält und es zum ersten Mal präsentiert.

Bekommst Du auf Messen manchmal besondere Reaktionen durch den Charityaspekt (z.B. jemand kauft ein Buch als Geschenk, ohne einen konkreten Anlass im Auge zu haben, weil sie den guten Zweck unterstützen möchten)?

Das ist mir, ehrlich gesagt, bisher selten passiert. Natürlich sind die Reaktionen positiv, wenn ich darauf hinweise, dass es sich bei „Like a Dream“ und „Like a (bad) Dream“ um Benefizanthologien handelt, doch insgesamt kaufen die Leute das Buch in erster Linie, weil sie sich für die Geschichten interessieren. Oftmals nutzen sie die Gelegenheit neue Autor*innen kennen zu lernen oder auch um Kurzgeschichten ihrer Lieblingsautor*innen kennen zu lernen. Dass es sich um ein Benefizprojekt handelt ist eher ein schönes Bonbon, das die meisten wohlwollend zur Kenntnis nehmen.

Könntest Du Dir vorstellen, noch weitere Anthologien herauszugeben? (Nur für einen guten Zweck oder auch mit Abrechnung von Autorenhonoraren)?

In gewisser Weise sind da tatsächlich Ideen für weitere Benefizanthologien im Kopf – der Blog feiert ja irgendwann seinen 20., 21. oder 25. Geburtstag – es gibt also genug Möglichkeiten, dieses Ereignis mit einer neuen Anthologie zu feiern. Es wurden z.B. Stimmen laut, doch eine wirklich queere Anthologie herauszugeben (bisher haben wir uns vorwiegend auf schwule Geschichten konzentriert, da sich diese am besten online vermarkten lassen – der Gay Romance Markt hat eine starke Käuferschicht und letztendlich ist das Hauptziel ja Einnahmen für die Vereine zu generieren) oder eine Anthologie für Kinder und Jugendliche (Kinder- und Jugendbücher sind einer der Schwerpunkte des Blogs) auf die Beine zu stellen. Das lasse ich auf mich zukommen – mal schauen, ob ich das irgendwann angehe.

Wenn dann peile ich eine dritte Anthologie frühstens zum 21. Geburtstag von Like a Dream an, denn ich brauche auch noch Zeit an meinen Romanprojekten zu schreiben (diese bleiben bei der Arbeit an einer Anthologie zumeist liegen). Auf jeden Fall würde ich dem Benefizgedanken treu bleiben – die Abrechnungen für 2 Vereine sind anstrengend und zeitaufwändig genug – 20+ Autorenabrechnungen wären mir definitiv zu viel, da bleibe ich lieber dabei, Geld für einen guten Zweck zu sammeln.

Haben queere Geschichten einen festen Platz in der deutschen Verlagslandschaft? Oder hinkt die deutsche Literaturszene der englischsprachigen hinterher? Was fehlt bei uns?

Das ist schwer zu beantworten – im Selfpublishing Bereich gibt es eine breit aufgestellte Szene mit hohem, facettenreichem Output. Insbesondere wenn man Bücher mit schwulen Figuren sucht, wird man bei Selfpublishern oder auch bei den typischen Genreverlagen (deadsoft, Cursed, Main Verlag, etc.) fündig. Es gibt Alltagsgeschichten für jeden Geschmack (Drama, Coming-Out, humoristische Texte, etc.), Fantasy, Krimi, Thriller und historische Stoffe – alles mal mehr, mal weniger mit Romantik/Erotik gespickt.

Lesbische, trans- und intersexuelle Held*innen sind leider nicht so stark vertreten, ebenso wenig die vielen Facetten, die das Wort queer noch beinhaltet. Sicherlich gibt es auch hier Verlage, die Bücher mit solchen Persönlichkeiten herausbringen, doch wenn man sich den Markt anschaut, überwiegen doch die schwulen Geschichten.

Bei großen Verlagen und damit einhergehend in Buchhandlungen findet man eher selten Bücher mit queeren Figuren – solche Veröffentlichungen sind eher die Ausnahme, ganz besonders außerhalb des Kinder- und Jugendbuchbereichs (hier legen die großen Verlage inzwischen durchaus auch Coming-of-Age-Romane mit queeren Hauptfiguren vor). Dennoch könnte es mehr Sichtbarkeit geben, mehr Mut, auch Romane für Erwachsene zu platzieren, in denen die Held*innen nicht heteronormativ sind. Das fehlt ein wenig, gerade bei großen Verlagshäusern.

Kannst Du queere Verlage oder Magazine empfehlen?

Wer sich für queere Bücher interessiert und ein wenig googelt, wird eine Menge Verlage und Magazine finden. Ich mache mal eine kleine Auflistung – das ist einfacher:

Verlage:

  • Main Verlag (schwule und lesbische Romane)
  • Deadsoft Verlag (vorwiegend Gay Romance, Gay Crime)
  • Cursed Verlag (Gay Romance)
  • Ulrike Helmer Verlag (lesbische Romane)
  • Butze Verlag (lesbische Romane)
  • Konkursbuch (schwule und lesbische Romane, Anthologien)
  • Querverlag (schwule und lesbische Romane, Krimis, Sachbücher)
  • Ylva Verlag (Lesbian Romance)
  • Albino Verlag (schwule Romane)

Magazine (online):

  • queer.de
  • Inqueery.de
  • Frauverliebt.de

Aber es ist doch auch wichtig, Geschichten mit queeren Figuren zu einer Ausschreibung einzusenden, die nicht explizit queere Geschichten verlangt?

Auf jeden Fall – ich kenne viele Verleger*innen, die sich in diesem Punkt Diversität wünschen – gerade Kleinverlage sind inzwischen sehr offen, wenn es um queere Geschichten geht. Daher würde ich, wenn es zum Ausschreibungsgegenstand passt und man eine passende Idee hat, es auf jeden Fall versuchen. Letztendlich muss doch die Geschichte überzeugen, gänzlich unabhängig davon, ob der Held oder die Heldin hetero, homosexuell, transsexuell oder was auch immer ist – wenn es passt und wenn man eine entsprechende Idee hat – warum nicht? Solange man es nicht erzwingt oder etwas einbaut, was so gar nicht passt, sollte man sich trauen und aus den üblichen Grenzen ausbrechen.

Hast Du einen Rat für einen Autor, der eine queere Figur in einer Kurzgeschichte einbauen möchte, aber kein own voice ist

Wenn ich ehrlich bin, kann ich mir nicht vorstellen, dass man in einer Kurzgeschichte so viel falsch machen kann – wenn es nicht gerade nur um ein Coming-Out geht, dann hat man wahrscheinlich nicht so viel Zeit, thematische Fehler zu machen oder Dinge zu schreiben, die verletzend sind. Die beste Möglichkeit, die man hat – jemanden drüberlesen zu lassen, der selbst queer ist. Wenn einem diese Option fehlt, sollte man zumindest die gängigen Klischees vermeiden, sich neutral mit dem Thema auseinandersetzen und es gar nicht unnötig aufbauschen. Ich persönlich mag es am meisten, wenn Queerness gänzlich normal dargestellt wird – ohne großartige Erklärungen, Ausschweifungen und Beschreibungen. Eine schwule oder lesbische Figur wird genauso beschrieben und behandelt, wie eine heterosexuelle, die Sexualität wird gar nicht großartig zur Sprache gebracht. Das ist am angenehmsten, weil es in gewisser Weise Normalität ausdrückt und letztendlich sollte das auch das Ziel sein – queere Menschen denken, handeln und leben wie jeder andere auch. Daher sollte es in Büchern keine spezielle Rolle spielen, ob die Heldin jetzt lesbisch ist oder der Held irgendwann als Frau auf die Welt gekommen ist – es sollte um die Geschichte gehen, die erzählt wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

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