[Gastartikel] Herausgeber – Geschichten sammeln und fertig? (Charlotte Erpenbeck)

Endlich hast du es geschafft. Die neue Anthologie liegt auf dem Tisch am Stand der Buchmesse, fertig, als Buch, Hochglanzcover, fünfundzwanzig Geschichten von ebenso vielen Autoren. Und du bist stolz auf dein Werk. Bis …
Ja, bis der erste Kunde vor dir steht und fragt: „Hrsg, was bedeutet das eigentlich?“
Du erklärst mit einem geduldig-freundlichen Lächeln: „Das bedeutet Herausgeber. Maximilian Gschichtler, das bin ich. Ich bin derjenige, der diese Anthologie zusammengestellt und veröffentlicht hat.“
„Du hast also die Geschichten geschrieben?“
„Nein, das waren andere Autoren. Ich habe ihnen nur das Thema gegeben und hinterher die besten Geschichten zu diesem Buch versammelt.“
„Und für sowas Leichtes kommt dein Name auf den Titel? Das ist doch nicht gerecht!“
So etwas Leichtes?

Irritiert denkst du an die vergangenen Monate. Leicht waren die irgendwie nicht. Aber der Kunde ist König, also widersprichst du nicht. Du erinnerst dich nur.

Als dir diese verrückte Idee kam, war die Welt noch voll in Ordnung und verheißungsvoll. Bei so einem Titel musste den Autoren doch etwas Gutes einfallen. Und der Verleger, den du angesprochen hattest, meinte auch, die Anthologie passe hervorragend in seinen Kleinverlag. Einen großen Verlag hast du gar nicht erst probiert, die packen Anthologien von unbekannten neuen Autoren mit der Kneifzange nicht an. Mal abgesehen davon, dass du dir von einem Kleinverlag mehr Spaß und Enthusiasmus erhofft hast. So von wegen persönliche Basis bei der Arbeit.

Ihr hattet den Text ausgefeilt und dann fleißig im Internet die Werbetrommel gerührt. Ein halbes Jahr lang. Die ersten vier Monate kam überhaupt nicht, außer ein paar Autorenfragen. Meist wegen etwas, was ohnehin lang und breit in der Ausschreibung stand. Dann tröpfelten die Geschichten herein. Neun Stück. Und ganz zuletzt, buchstäblich auf dem letzten Drücker, in den letzten 48 Stunden, hattest du plötzlich 97 neue Geschichten in deiner Mailbox.

Und dann kam die Arbeit.
106 Autoren eine Mail schicken, dass ihr Beitrag eingegangen war.
Die Geschichten sortieren in gut, mittel und Katastrophe. Mittelgute nur für den Fall, dass zu wenig ganz gute dabei waren. Eine Reserve, sozusagen. Gott sei Dank eine unnötige.
31 gute Geschichten waren am Ende übrig, und eine von den mittelguten musste unbedingt mit rein, weil das zufällig ein etwas bekannterer Autor war, den wollte der Verleger als Zugpferd.
Der Verleger und du, ihr habt dann in zähem Ringen die restlichen 24 Geschichten ausgesucht. Drei davon nur, weil sie gerade die passende Länge hatten. Ausgerechnet deine Lieblingsgeschichte war nicht dabei, sie war zu lang.

Dann waren 76 Absagen zu schreiben. Möglichst neutral, damit keine Nachfragen kamen, Nachfragen machen Arbeit und bringen nichts. Nur bei deiner Lieblingsgeschichte hast du ein paar bedauernde Worte dazugeschrieben.

Dann das Lektorat. Klar, das ist Verlagssache. Normalerweise. Aber der Verleger hat dir erklärt, dass er an Anthologien so gut wie nichts verdient, und du sollst die Kosten flach halten. Also machst du selbst ein Vor-Lektorat. Die Autoren waren im Großen und Ganzen nett und änderten brav, nur einer war dabei, der darauf beharrt, dass sein Epos auf keinen Fall verändert werden durfte. Wenn du das früher gewusst hättest … Aber er hatte einen Vertrag. Du gabst sein unlektoriertes Geschichtchen zusammen mit den vorlektorierten an den Verleger weiter. Acht Mails später hattet ihr mit dem Autoren einen Kompromiss. Und nach weiteren zwei Wochen bekamen alle das endgültige Lektorat mit den letzten Änderungswünschen sowie der Aufforderung, eine Vita mitzuschicken. Fünf Sätze Lebenslauf höchstens. Sollte für einen Autoren eine leichte Fingerübung sein.

Einen Monat und geschätzt zwei Dutzend Mails später fehlten immer noch fünf Vitae, und ein Autor hatte sein Lektorat noch nicht nachbearbeitet. So langsam eilte es, der Veröffentlichungstermin war schließlich bekannt, und du hattest dich ans Telefon gehängt.

Noch einmal zwei Wochen später hattet ihr endlich alles. Der Verlag hat die Druckfahnen erstellt, und du als Herausgeber durftest sie wieder an alle Autoren verteilen.

Aufruhr.
Autor 1: Warum stehe ich nicht ganz vorne im Buch? Schließlich fängt mein Name mit A an!
Autor 2: Ich habe aber ein Pseudonym gewollt! (Hatte er allerdings nicht im Vertrag eingetragen.)
Autor 3: Auf Seite 47 Absatz 3 Zeile 8 ist ein Leerzeichen zuviel!
Autor 4: Hilfe, ich habe doch noch eine dumme Formulierung gefunden, kann ich die noch ändern?
Autor 5: Mein Schluss gefällt mir überhaupt nicht mehr, ich habe ihn mal eben umgeschrieben, neuer Text anbei.
Und so weiter.
Du warst kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Der Verleger hatte etwas gemurmelt, was verdächtig wie „nie wieder“ klang.

Aber irgendwie habt ihr die Anthologie hingekriegt. Mit tollem Titelbild und innen sogar einigen Illustrationen. Und ja, sie ist sogar noch rechtzeitig zur Buchmesse gedruckt und ausgeliefert worden.
Dass du im fertigen Buch gleich auf der ersten Seite noch einen Druckfehler gefunden hast, willst du lieber vergessen.
Dafür möchtest du lieber mit dem Verleger und den zwei tatsächlich in Person vorhandenen Autoren anstoßen. Viel Arbeit, ein schönes Buch, und für jeden von euch ein Verdienst in Höhe einer guten Pizza. Auch für dich, mehr sitzt einfach nicht drin. Geschätzter Stundenlohn: 50 Cent. Höchstens. Mindestlohn gibt es weder für Autoren noch Herausgeber oder Verleger. Aber immerhin ein Buch, auf dem dein Name steht und zeigt, wer sich diese ganze undankbare Arbeit an den Hals geholt hat. Du bist zu Recht stolz darauf.

Und dann kommt so ein Idiot und fragt: „Und für sowas Leichtes kommt dein Name auf den Titel? Das ist doch nicht gerecht!“

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